Die Königsdisziplin

Gespeichert von mieschka am Di., 20.04.2004 - 00:07

Wer was kann, geht arbeiten. Wer nix kann, räumt Regale ein. Alles klar, ich stehe also nach langer Zeit endlich wieder im lächerlichen, weißen Kittel vor irgendeinem völlig gestressten Marktleiter, der eine Mischung aus schwäbischem und sächsischem Akzent redet, und wahrscheinlich überhaupt keinen Bock auf diesen faulen Studentensack vor ihm hat. Perfekt!

Im Lebensmittel-Einzelhandel gibt es einen Haufen uninteressanter, belangloser Arbeiten zu verrichten, die in etwa so stumpfsinnig sind wie ich, und durch die man nach ein paar Jahren zum sabbernden Vollidioten mutiert. Ein alter Typ zum Beispiel, der eine heftige Plauze vor sich herschiebt, und ansonsten Bierkästen einsortiert, besteht auf das „Sie“ wenn ich ihn anspreche. Hö! Das finde ich auf Anhieb zwar unglaublich asozial, aber genau deshalb gottcool!

Na gut, ich soll irgendwo hin gehen, mir was zu tun geben lassen. Na wenn’s dann halt sein muss. Ich hoffe, es ist irgendwas, wobei man sich nicht anstrengen muss, und wo mich keiner sieht, so das ich trödeln kann bis der Arzt kommt.

Und dann, nach langen Jahren, höre ich endlich wieder diese bedeutungsschwangeren Worte: „Gehen sie bitte ins Tiefkühlhaus, holen den Spinat und räumen den ein.“ Jepp, kein Problem! Super. Im Tiefkühlhaus sind es geschmeidige achtzehn Grad unter Null, und von allen Seiten blasen einem Riesen Ventilatoren Arktisklima in die Ohren, während kein Tageslicht die Räumlichkeiten je gesehen hat, und nur ein wenig fahles Kunstlicht den Weg weist. Geil! Schönste Arbeit von Welt! Ich kann mir NICHTS schöneres vorstellen.

Gut, ich also ab ins Tiefkühlhaus. Wenn es nicht so lustig wäre, würde ich jetzt Rotz und Wasser heulen, aber stattdessen klettere ich wie ein Eisbär über irgendwelche wackeligen Paletten mit Putenschnitzeln und Eisbeinen darauf, auf der Suche nach tiefgekühltem Spinat. Spinat! Wer, verfluchte Scheiße, frisst so einen Abfall? Ich stehe kurz vorm Tod durch erfrieren, stapele aber zäh einige Pizzas um, und dabei fallen mir fast die Ohren vor Kälte ab, und die Finger lassen sich nicht mehr einwandfrei bewegen. Naja, immerhin schon wieder ne halbe Stunde rum, vier Euro wandern auf mein Konto, alle Achtung!

Kurz bevor mein Herz stehen bleibt gehe ich raus aus der Folterkammer und ab zum Chef, dem berichten das ich den Spinat nicht finde. Soll er doch motzen, das Arschloch, ich bleibe jedenfalls am Leben! Aber was sagt er: „Ach so. Dann ist kein Spinat mehr da. Dann räumen sie die Pizza ein.“

Ich sage nett: „OK“ und denke mir „Du blöder Wichser, willst Du mich eigentlich verarschen?“.

Immer noch durchgefroren spaziere ich zurück zum schönsten Ort der Welt, dem Tiefkühlhaus, und sehe, das ich ja eben, fleißig wie ich war, die Scheiß Pizza umgestapelt habe. Fehler. Jetzt komme ich nicht mehr dran. Also alles wieder kehrt Marsch und von vorne, baue auf und reiße nieder hast du Arbeit immer wieder. Bei minus achtzehn Grad. Ohne Handschuhe. Mit einer irren Motivation. Für eine Sklavenbezahlung. Und mittlerweile ohne lächeln, aber dafür mit einem Tränchen im linken Auge, was natürlich sofort gefriert und als kleiner Eiszapfen unter der Wimper hängt. Ich sinn der Durchjefrorenste.

Alles klar, den ganzen Pizzavorrat auf eine Palette gestapelt, und in den Verkaufsraum vor die Truhe gefahren. Boh, ist das schön warm hier. Und was sehen meine zugeeisten Augen: Die Truhe ist bis obenhin voll mit Pizza! Da passt ja gar nix mehr rein! Och nöö, schon wieder alles umsonst.

Aber ich renne jetzt nicht zum dritten Mal in einer Stunde zum Chef und jammere dem was vor, stattdessen gehe ich einfach ins mittlerweile immer gemütlicher werdende Tiefkühlhaus, stelle die scheiß Pizza da ab und schnappe mir einfach ein paar blöde, tiefgefrorene Hähnchenschenkel, die auf einer Palette zwei Meter hoch aufeinander gestapelt sind. Und wieder ab Richtung Verkaufsraum.

Aber ich hätte es mir denken können: Die scheiß Palette ist so dermaßen schief gestapelt, das in der ersten Kurve der ganze Rotz umkippt und sich lustig über den ganzen Boden verteilt. Ich habe bald keine Lust mehr. Wo ist die versteckte Kamera, oder diese dämliche Ben Teewag-Schwuchtel?

Jetzt pimmel ich hier seit einer halben Ewigkeit blöd rum und habe noch NICHTS geschafft! Wenn das einer mitkriegen würde, der würde mich für bekloppt erklären! Egal.

Also noch mal: Alles wieder stapeln, und dabei haue ich mir mit diesen gefrorenen, knüppelharten Hähnchenschenkeln noch den kleinen Finger zu Matsch, freue mich aber, das mein Finger so kalt ist, das ich davon nicht viel merke, aber dafür lustig ein bisschen Blut rumspratzt.

Verkaufsraum, die Hundertste: Während ich auf dem Weg zur Hähnchentruhe bin, kommt zufällig der Chef vorbei, wirft einen kritischen Blick auf die Palette und die sich darauf befindlichen Hähnchenschenkel und lässt mich wissen, das die erst nächste Woche eingeräumt werden dürfen, weil die da erst im Werbeblättchen sind.

Ey Leute, datt macht doch keinen Spaß hier! Stattdessen meint der Chef, ich solle die Tiefkühl-Fertiggerichte holen, die seien aber ganz hinten in der Ecke, naaa, wo wohl? Richtig, in meinem persönlichen Büro, im Tiefkühlhaus, und er würde jetzt erst mal Mittagspause machen.

Eigentlich müsste ich jetzt die ganze Hütte hier abfackeln, nur so zum Spaß an der Freude!

Aber, der kleine Kollege nicht doof, hat ja ne Ausbildung gemacht, hat ja die Königsdisziplin von der Pike auf gelernt: Ich spaziere also zur erstbesten, verschüchterten Aushilfe, also ein Typ der noch weniger Ahnung hat als ich , und erkläre dem, das der Chef gesagt hat, er solle doch bitte sofort die Tiefkühl-Fertiggerichte einsortieren. Danach gehe ich mir sofort ein Metal-Magazin und eine Cola kaufen, und setze mich in den Aufenthaltsraum. Bei so einem großen Kaufhaus merkt das kein Schwein, und es interessiert auch keine Sau!

Mittach! Füße hoch. So lässt sich Geld verdienen!

Eine knappe Stunde später sehe ich, das die Aushilfe sehr fleißig war (IDIOT!), und schicke ihn zurück an seine eigentliche Arbeit. Kurz später kommt der Chef und lobt mich, weil die Fertiggerichte so schön eingeräumt sind. Oh, ja, toll, super, los, feier mich ab! Du Penner.

Jedenfalls bin ich gerade auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz als bloß-was-anderes-als-Regaleeinräumer!

Prösterchen!

The Kollege